Wie reagieren wir, wenn der Arbeitgeber die Erforderlichkeit des Seminars bestreitet?

Macht ein Mitglied des Betriebsrats erforderliche Betriebsratstätigkeit, bedarf es dazu keinerlei Erlaubnis seines Vorgesetzten; die Freistellung dafür regelt der § 37 Abs. 2 BetrVG.
Das gilt auch für die Teilnahme an einer erforderlichen Schulung; sie ist erforderliche BR-Tätigkeit, bedarf folglich keiner Zustimmung des ArbG (→ FAQ, Frage 8, Erforderlichkeit der Betriebsratsschulung).

Dieser Anspruch auf Arbeitsbefreiung nach 37 Abs. 2 BetrVG – und damit auch auf Lohnfortzahlung und Übernahme aller Kosten durch den Arbeitgeber – besteht für jene Veranstaltungen nach § 37 Abs. 6 BetrVG, die Kenntnisse vermitteln, welche für die BR-Arbeit erforderlich sind.

Durch die Regelungen in § 37 Abs.2 (Freistellung von der beruflichen Tätigkeit ohne Minderung des Arbeitsentgelts) und Abs.6 (Vermittlung erforderlichen Wissens) wird klargestellt, dass die Teilnahme an Schulungsveranstaltungen zu den verpflichtenden Aufgaben des BR gehört (BAG, 31.10.1972 – 1 ABR 7/72) und der Arbeitgeber damit nach § 40 BetrVG alle dabei anfallenden Kosten zu übernehmen hat.

BR-Mitglieder können dann zu Betriebsratsseminaren fahren, wenn dort Wissen vermittelt wird, das für die Arbeit des Betriebsrats erforderlich ist.
Ob eine Seminarteilnahme erforderlich ist, entscheidet der Betriebsrat – nach gewissenhafter Überlegung und unter Abwägung der Interessen des Betriebs, des BR und der Belegschaft (vgl. BAG, 06.08.1981 – 6 AZR 505/78).

Für die Betriebsratsarbeit erforderlich sind solche Kenntnisse, die unter Berücksichtigung der konkreten Verhältnisse im Betrieb notwendig sind, damit der BR seine gegenwärtigen oder in naher Zukunft anstehenden Aufgaben sachgerecht wahrnehmen kann.
Verfügen Mitglieder des BR hierzu nicht oder nicht in ausreichendem Umfang über die notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten, ist der Besuch einer Schulung erforderlich.

Bei der Frage der Erforderlichkeit von Schulungen unterscheidet man zwei Ebenen:


1. Grundlagenschulungen
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die Grundwissen für die alltägliche Betriebsratsarbeit vermitteln und deren Erforderlichkeit in der Regel keiner besonderen Darlegung bedarf.

Zu den in der Rechtsprechung völlig unstreitigen Grundseminaren gehören solche, die Grundlagenwissen im BetrVG (= kollektivem Arbeitsrecht) und im allgemeinen Arbeitsrecht ( = individuellem Arbeitsrecht) vermitteln – Themenbereiche wie BetrVG I, BetrVG II, AR I und AR II, AR III, alle jeweils mindestens 5 Tage.

Zu den Aufgaben eines jeden BR-Mitglieds gehört es, darüber zu wachen, ob die die zugunsten der Arbeitnehmer geltenden Rechtsnormen eingehalten werden (§ 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG) und zu überprüfen, ob bei Handlungen des Arbeitgebers Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrechte des BR berührt sind.

Deshalb zählen zum erforderlichen Grundlagenwissen auch Kenntnisse aus speziellen, abgeschlossenen Teilgebieten des BetrVG und des Arbeitsrechts – wie zB zu den sozialen Mitbestimmungsrechten aus § 87 BetrVG, zum KSchG (Kündigungsschutzgesetz), zum Arbeitsschutzrecht, zum TzBfG (Teilzeit- und Befristungsgesetz), zum AÜG (Arbeitnehmer-überlassungsgesetz) oder zum AGG (Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz).

In der Rechtsprechung ebenso unstreitig sind Seminare zur aktuellen Rechtsprechung im BetrVG und allgemeinen Arbeitsrecht sowie zum Erlernen des Umgangs mit Gesetzen, Urteilen und Kommentaren.
Zu diesen Grundseminaren haben auch die ersten Ersatzmitglieder (→ FAQ, Frage 10) Anspruch, wenn sie regelmäßig und über einen längeren Zeitraum hinweg zu BR-Sitzungen hinzugezogen werden.

Da bei all diesen Grundseminaren die Rechtsprechung einheitlich ist, ist ein Bestreiten der Erforderlichkeit durch den Arbeitgeber zwar nervig, rechtlich jedoch weitgehend unbeachtlich.

Grundsätzlich hat der BR bei der Prüfung der Frage, ob noch ein Grundlagen- oder bereits ein Spezialseminar vorliegt, ob also alle BR-Mitglieder an einem Seminar teilnehmen können, oder nur einzelne, ohnehin einen Beurteilungsspielraum (BAG 9. 10. 73 – 1 ABR 6/73).

Das schließt jedoch nicht aus, dass es bei Seminaren zu abgeschlossenen Teilgebieten zu einer unterschiedlichen Einschätzung zwischen Arbeitgeber und BR über die Erforderlichkeit eines solchen Seminars für alle BR-Mitglieder kommen kann.

Um das zu vermeiden, sollte der BR bereits in seinem Entsendebeschluss und in seiner Mitteilung an den Arbeitgeber im einzelnen die jeweilige spezielle betriebliche Situation darlegen und aufzeigen, welche Verpflichtungen daraus für jedes einzelne BR-Mitglied erwachsen.

Zwei Beispiele hierzu, zu Seminaren die Fischer.Consultingâ anbietet:

Im Falle eines Seminars zum Gesundheitschutz im Pflegebereich bedeutet dies, die dortige erhöhte Gesundheitsgefährdung mit den Kontroll- und Mitwirkungsrechten im Arbeits-und Gesundheitsschutz, zu denen aus den §§ 80 Abs. 1 Nr. 9, § 87 Abs. 1 Nr. 7 und § 89 BetrVG jedes einzelne BR-Mitglied verpflichtet ist, zu verbinden.

Geht es um die Teilnahme an einem Seminar zu Geprächs- und Redesituationen in der alltäglichen Praxis der BR-Arbeit, sollte der BR in Beschluss und Mitteilung darlegen, dass das BAG die BR-Mitglieder verpflichtet, „in eigener Verantwortlichkeit“ zu handeln. Und bei diesem Handeln wird jedes einzelne BR-Mitglied durchgehend mit typischen Gesprächssituationen konfrontiert –  in BR-Sitzungen, in monatlichen Besprechungen mit dem AG, an denen alle BR-Mitglieder teilzunehmen haben*, in Verhandlungen, in Vier-Augen-Gesprächen, in Gesprächen mit Beschäftigten und deren Begleitung zu Gesprächen mit dem AG, zu dem sich ein ArbN ja ein BR-Mitglied seiner Wahl hinzuziehen kann. Und all das geht eben nicht ordnungsgemäß ohne Grundkenntnisse und Fertigkeiten zu Geprächs- und Redesituationen in der alltäglichen BR-Praxis.
*(Fitting, Handkommentar BetrVG, § 74, Randnummer 7)

Gibt es dennoch Einwände des Arbeitgebers gegen den Beschluss des Betriebsrats, wird sich dieser unter dem Gesichtspunkt der vertrauensvollen Zusammenarbeit in einer Sitzung damit beschäftigen. Kommt er trotz der Einwände des Arbeitgebers auch weiterhin zu dem Schluss, dass dieses Seminar erforderlich ist, teilt er dies dem Arbeitgeber mit.

Folge:
Die BR-Mitglieder, für die der Entsendebeschluss gefasst wurde, nehmen an dem Seminar teil – vorausgesetzt natürlich, der Beschluss ist ordnungsgemäß gefasst worden (→ FAQ, Frage 6, Beschluss).

2. Spezialseminare,

die dann erforderlich sind im Sinne des § 37 Absatz 6 BetrVG, wenn sie objektiv und subjektiv erforderlich sind.

Objektiv erforderlich sind sie, wenn es dafür einen aktuellen oder absehbaren betrieblichen Anlass gibt.
Subjektiv erforderlich sind sie, wenn dafür im BR Kenntnisse und Fähigkeiten benötigt werden, mit denen er seine derzeitigen oder demnächst anfallenden Arbeiten sachgerecht wahrnehmen kann – diese aber dort nicht oder nicht ausreichend zur Verfügung stehen. (vgl. BAG 19. 07. 1995 – 7 ABR 49/94)

Liegt beides vor und darüber hinaus auch noch die entsprechende Aufgabenverteilung im BR, ist der Weg frei für die Teilnahme dieser BR-Mitglieder an einem Spezialseminar, in dem die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten vermittelt werden.

3. Streitigkeiten zur Erforderlichkeit

Zur Erinnerung: Bei Streitigkeiten über den Zeitpunkt der Schulung (→ FAQ, Frage 13) muss der Arbeitgeber die Einigungsstelle anrufen – und nur er. Tut er’s nicht, kann das BR-Mitglied fahren.

Stellt sich der Arbeitgeber jedoch auf den Standpunkt, die Schulung falle nicht unter den Themenbereich des § 37 Abs. 6 BetrVG, sei also nicht erforderlich, kann das Arbeitsgericht angerufen werden – vom Betriebsrat und auch vom Arbeitgeber.
Das kann auch im Wege der einstweiligen Verfügung geschehen (Hessisches Landesarbeitsgericht vom 19.08.2004 – 9 TaBVGa 114/04).
Ruft der BR das Gericht an, muss der Arbeitgeber alle hier anfallenden Kosten übernehmen.

Der Betriebsrat wird es aber dann nicht anrufen, wenn er aufgrund eindeutiger Rechtslage (s.o.) davon ausgehen kann, dass die von ihm beschlossene Schulung erforderlich ist.